BEI SEXTUS EMPIRICUS
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1. Vorbemerkung*
Die sog. kleinen Sokratiker und ihre Schulen spielen ebenso wie ihr
gemeinsamer geistiger Stammvater Sokrates in den erhaltenen Schriften
des Sextus Empiricus aufs ganze gesehen nur eine marginale Rolle. Nur
über drei dem Kreis dieser Philosophen entstammende Lehrkomplexe
berichtet Sextus ausführlicher, nämlich über die Erkenntnistheorie der
Kyrenaiker (M vii 190-200), Diodors und Philons unterschiedliche An-
sichten über die Wahrheitsbedingungen von Konditionalaussagen (PH ii
110; M viii 113-117) und Diodors Beweise gegen die Bewegung (PH iii
71-75; M x 85-120). Wo er ansonsten auf einzelne diesem Kreis zuzurech-
nende Philosophen und ihre Ansichten zu sprechen kommt, handelt es
sich durchweg um Einzelbemerkungen, die sich in gleicher oder ähnlicher
Form auch bei anderen Autoren der späteren Antike finden, also um
Bruchstücke jener weitgehend standardisierten Traditionsmasse, die seit
langem gleichsam das bildungsmäßige Grundkapital aller philosophisch
Interessierten darstellte und der man von Fall zu Fall entnahm, was man
gerade brauchte. Es versteht sich von selbst, daß von diesen Einzelbemer-
kungen weder bedeutsame Informationen über die kleinen Sokratiker und
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ihre Nachfolger noch belangvolle Erkenntnisse bezüglich der Arbeits-
weise des Sextus zu erwarten sind. Dennoch will ich sie hier um der
Vollständigkeit willen nicht gänzlich übergehen. Ich werde mich jedoch,
was sie betrifft, im wesentlichen auf eine Bestandsaufnahme beschränken
und in Anmerkungen dazu vor allem darauf hinweisen, wo und in wel-
chem Zusammenhang sich Parallelen bei anderen Autoren finden.
Die interessanteste Sokrates betreffende Bemerkung bei Sextus ist
wohl die folgende: In parallelen Abschnitten in den Pyrrhonischen Hypoty-
posen (ii 22) und der Schrift Gegen die Dogmatiker (M vii 264-265, vgl.
433) legt Sextus dar, daß eine Erkenntnis der Wahrheit schon deshalb
ausgeschlossen sei, weil es nicht möglich sei zu erkennen, was das
Erkenntnissubjekt (τὸ ὑφ’ οὗ), der Mensch, sei. Als prominenten Zeugen,
der sich dieses Dilemmas bewußt gewesen sei, nennt er Sokrates. Dieser
habe, obwohl er sich doch um die Erforschung des Begriffes bemüht
habe, eingestanden, daß er nicht wisse, was er sei. Sextus beruft sich
für diese seine Aussage über Sokrates auf eine (von ihm verkürzt wieder-
gegebene) Stelle aus Platons Phaidros (230 a), an der Sokrates von sich
selbst sagt, daß er bemüht sei «zu erkunden, ob er ein Tier sei, verschlun-
gener und stärker aufgebläht als Typhon, oder ein zahmeres und ein-
facheres Lebewesen». Besonders interessant ist diese Bemerkung des
Sextus über Sokrates deshalb, weil sie die einzige in den erhaltenen
Werken des Sextus ist, in der dieser sich — ob wissentlich oder unwis-
sentlich, bleibe dahingestellt — die Sokratesdeutung der Neuen Aka-
demie zueigen macht. Arkesilaos hatte sich, wie bekannt, für seinen
Skeptizismus auf Sokrates berufen und sich ausdrücklich in seine Nach-
folge gestellt. In diesem Zusammenhang scheint er auch die gerade
zitierte Stelle aus dem Phaidros als Zeugnis herangezogen zu haben.
Das läßt sich mit einiger Sicherheit aus dem erschließen, was wir
dank Plutarchs Schrift Gegen Kolotes von der Kritik wissen, die der
Epikurschüler Kolotes von Lampsakos an Sokrates geübt hatte. Dieser
hatte Sokrates neben anderem vorgeworfen, daß er — so Kolotes wört-
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lich — «übermütig damit geprahlt habe, daß er nicht einmal sich selbst
kenne» (xx 1118 c). Kolotes hatte bei dieser seiner Behauptung die
gerade zitierte Bemerkung des Sokrates in Platons Phaidros im Blick1.
Da nun, wie hier nicht im einzelnen gezeigt werden kann2, der So-
krates, den Kolotes angriff, der Sokrates seines Zeitgenossen Arkesilaos
war, liegt die Vermutung nahe, daß auch Arkesilaos die Phaidrosstelle
als Zeugnis für sein Sokratesbild in Anspruch genommen hatte. Trifft
dies zu, dann stünde die Berufung auf die Phaidrosstelle als Beleg für
den Skeptizismus des Sokrates bei Sextus in einer letztlich auf Arkesilaos
zurückgehenden Tradition.
Aus den sonstigen Bezugnahmen des Sextus auf Sokrates seien die
folgenden herausgehoben: Zu Beginn des i. und des v. Buches der Schrift
Gegen die Dogmatiker macht sich Sextus die Tradition zueigen, daß So-
krates die Ethik begründet und sich allein mit ihr beschäftigt habe, und
führt als Beleg dafür drei Zeugnisse an, die zum gleichen Zweck auch
von zahlreichen anderen Autoren herangezogen werden: Xen. mem.
I 1, 11 ff., Timon fr. 25 Diels (= fr. 799 Lloyd-Jones/Parsons) und den
Vers 392 des iv. Buches der Odyssee (ὅττι τοι ἐν μεγάροισι κακόν τ’ ἀγα-
θόν τε τέτυκται), den Sokrates, wie behauptet wurde, zur Bezeichnung
dessen anzuführen pflegte, was der Mensch vor allem anderen erforschen
müsse (M vii 8-10, 21; xi 2)3. Anläßlich einer Erwähnung des Archelaos
merkt Sextus an, daß er der Lehrer des Sokrates gewesen sei (M ix 360)4;
und in dem der Musik gewidmeten vi. Buch der Schrift Gegen die Gelehrten
verweist er einmal auf die für uns zuerst bei Platon (Euthyd. 272 c;
Menex. 235 e-236 a) faßbare und hernach häufig wiederholte Behauptung,
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Sokrates habe noch als alter Mann damit begonnen, Instrumentalunter-
richt zu nehmen (Μ vi 13)5. Nur nebenbei sei erwähnt, daß der Name
des Sokrates bei Sextus ebenso wie bei Aristoteles und Plotin häufig stell-
vertretend für einen beliebigen Einzelmenschen steht6.
Zweimal zitiert Sextus Partien aus Xenophons Memorabilien. Eines
dieser Zitate, mem. i 1, 11 ff., wurde schon erwähnt. Bei dem zweiten,
einer verkürzten Fassung des Abschnittes mem. i 4, 2-8, handelt es sich
um den bekannten Gottesbeweis aus dem Gespräch des Sokrates mit Ari-
stodemos, der Zenon als Ausgangspunkt für seine Gottesbeweise gedient
haben soll (M ix 101 = S.V.F. i 113)7. Die Tatsache, daß das gleiche
Xenophon-Zitat auch bei Cicero in einem parallelen Kontext auftaucht
(de nat. deor. ii 18; vgl. iii 27), läßt darauf schließen, daß es zum festen
Inventar von Darstellungen der stoischen Theologie gehörte.
4. Antisthenes und die Kyniker
Der Name des Antisthenes taucht bei Sextus nicht ein einziges Mal
auf. Zwar erwähnt Sextus zweimal, daß einer von denen, die die Lust
für ein Übel hielten, und zwar ein Kyniker ausgerufen habe: «Lieber
möchte ich wahnsinning werden als Lust verspüren» (PH iii 181;
M xi 73-74), es ist jedoch nicht erkennbar, ob ihm bekannt war, daß es
sich dabei um das bekannteste Apophthegma des Antisthenes handelt.
Ähnlich gelagert ist der folgende Fall: Insgesamt dreimal kommt Sextus
darauf zu sprechen, daß einer der alten Kyniker, als man ihn einmal mit
dem Argument gegen die Bewegung konfrontierte, sich nicht auf langes
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Debattieren eingelassen habe, sondern als Gegenbeweis stillschweigend
aufgestanden und herumgegangen sei (PH ii 244; iii 66; M x 68). In den
sonstigen erhaltenen Quellen wird als dieser Kyniker zweimal Diogenes
(S.S.R. v b 479, 481) und einmal Antisthenes (S.S.R. v a 159) genannt;
Sextus nennt keinen Namen.
Im übrigen weiß Sextus über die Kyniker noch folgendes zu berich-
ten: In der Schrift Gegen die Dogmatiker führt er unter denen, die bestrit-
ten hätten, daß es ein Kriterium der Wahrheit gebe, überraschenderweise
auch den Diogenesschüler Monimos auf und begründet dies damit, daß
Monimos ebenso wie Pyrrhons Lehrer Anaxarchos «die seienden Dinge
mit Bühnenmalerei verglichen und gemeint habe, sie glichen den Ein-
drücken, die einen im Traum oder im Wahnsinn überkämen» (M vii 87-8,
vgl. 48), sowie damit, daß er behauptet habe, alles sei τῦφος, das heiße:
Einbildung von Nichtseiendem als Seiendem (M viii 5). Wir wissen nicht,
woher Sextus diese sachlich doch wohl unzutreffende Einordung des
Monimos hat. Die Einsicht, daß alles τῦφος sei, hatte Menander in
seiner Komödie Der Pferdeknecht einen der Akteure als überragende
Leistung des Monimos preisen lassen (fr. 249 Kock, 215 Körte, S.S.R.
v g 1, 19). Es ist zu vermuten, daß der betreffende Vers Menanders die
ursprüngliche Quelle der Feststellung bildet, Monimos habe behauptet,
alles sei τῦφος; eine Bemerkung Mark Aurels über Monimos (2, 15 =
S.S.R. v g 3) reflektiert die gleiche Tradition. Vorausgesetzt, Monimos
hat sich, wie es für einen Kyniker ja nahelag, tatsächlich in dieser Weise
geäußert, dann bezog er damit aber gewiß keine agnostische Position,
sondern kennzeichnete nur die gängigen Meinungen der Menschen als
das, was sie seiner Ansicht nach waren, als Illusionen. Entsprechendes
gilt für die beiden Vergleiche, die Sextus Monimos zuschreibt. Wofern
Monimos sich dieser Vergleiche wirklich bedient hat, was wir nicht zu
überprüfen vermögen, hat er gewiß nicht, wie Sextus behauptet, die
seienden Dinge mit Bühnenmalerei bzw. Traumbildern und Wahnvor-
stellungen verglichen, sondern vielmehr die Dinge, die die Menschen
gemeinhin für seiende halten und deshalb zum Maßstab für ihr Handeln
machen. Nichts spricht dafür, daß Monimos sich im Unterschied zu
ändern Kynikern mit ontologischen und erkenntnistheoretischen Frage-
stellungen beschäftigt hat; sein Anliegen war vielmehr das gemein-
kynische, die gängigen Vorstellungen über Wert und Unwert der Dinge
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als Irrtum zu entlarven und die Natur als Maßstab allen Handelns zu
propagieren.
Wo Sextus sonst noch auf die Kyniker zu sprechen kommt,
geschieht dies, um zur Erläuterung oder im Sinne des 10. Aeneside-
mischen Tropos den Lebensstil der Kyniker sei es insgesamt (PH i 145,
150), sei es in bestimmten Einzelerscheinungen (Krates’ Praxis, die Ehe
mit Hipparchia in der Öffentlichkeit zu vollziehen; Diogenes’ Gewohn-
heit, den Tribon nur über einer Schulter zusammenzuknüpfen; PH i 155;
iii 204) zur Illustration heranzuziehen.
5. Aristipp und die Kyrenaiker
In den Einleitungskapiteln der Schrift Gegen die Dogmatiker (M vii
1-26) gibt Sextus einen Überblick darüber, wieviele Teile der Philosophie
die einzelnen Philosophen in der Vergangenheit unterschieden und wie
sie die von ihnen unterschiedenen Teile gewichteten. In diesem Zusam-
menhang kommt er auch auf die Kyrenaiker zu sprechen, und zwar sogar
zweimal, da er in seinen Quellen, was ihre Position betrifft, zwei ver-
schiedene Ansichten verzeichnet fand: Nach der einen ließen die Kyre-
naiker, Sokrates folgend, allein die Ethik gelten (M vii 11), nach der
anderen Ethik und Logik (M vii 15). Daß diese beiden Ansichten bei den
antiken Philosophiehistorikern miteinander konkurrierten, bezeugt auch
Diogenes Laertios (92 = S.S.R. iv a 172, 54-60). Die Vertreter der ersten
Ansicht wußten des weiteren zu berichten, daß die Kyrenaiker die
Ethik in die fünf Teilbereiche “Zu Wählendes und zu Meidendes”,
“Affekte”, “Handlungen”, “Ursachen” und “Beweise” unterteilten.
Darin hätten manche, so Sextus, einen Widerspruch gesehen. Insofern
nämlich der Teilbereich “Ursachen” zur Physik und der Teilbereich
“Beweise” zur Logik gehöre, hätten die Kyrenaiker der Physik und der
Logik die Existenzberechtigung, die sie ihnen eigentlich absprachen, auf
einem Umweg schließlich doch wieder zuerkannt (M vii 11). Genau das-
selbe berichtet in einem gleichartigen Kontext Seneca (ep. 89, 12 =
S.S.R. iv a 168, 1-7).
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Was Sextus sonst noch über die Kyrenaiker berichtet, ist, sieht man
von der gleich eingehender zu besprechenden Darstellung ihrer Erkennt-
nistheorie ab, in wenigen Worten referiert: Wie den Lebensstil der Ky-
niker zieht er auch denjenigen Aristipps und der Kyrenaiker bisweilen
heran, um im Sinne des 10. Tropos das gleichberechtigte Vorkommen
unterschiedlicher Lebensformen zu illustrieren (PH i 150, 155; ii 38;
iii 204); und wo er Listen von Atheisten aufstellt, nennt er natürlich stets
Theodoros Atheos (PH iii 218; M ix 51, 55).
5.2. Die Erkenntnistheorie der Kyrenaiker 8
In dem umfangreichen Abschnitt des I. Buches der Schrift Gegen die
Dogmatiker, in dem Sextus einen kritischen Überblick über die Antwor-
ten gibt, die die einzelnen Philosophen und philosophischen Schulen auf
die Frage nach dem “Kriterium der Wahrheit” gegeben haben, kommt
er auch auf die Position der Kyrenaiker zu sprechen (M vii 190-200). Es
ist dies die detaillierteste und zuverlässigste Darstellung der kyrenaischen
Erkenntnislehre, die erhalten ist. «Die Kyrenaiker behaupten» — so be-
ginnt sie — «Kriterium der Wahrheit seien die Empfindungen (πάθη)
und sie allein würden erkannt und seien untrüglich, von den Dingen,
die die Empfindungen hervorriefen, sei dagegen keines erkennbar und
untrüglich» (M vii 191). Im folgenden referiert Sextus dann die Ar-
gumente, mit denen die Kyrenaiker diese ihre Ansicht begründeten.
Den Ausgangspunkt bildet dabei ein Fall, in dem es offenkundig ist,
daß gleiche Gegenstände bei verschiedenen Menschen unterschiedliche
Empfindungen wachrufen: Menschen, die sich, verursacht durch Krank-
heit oder bestimmte äußere Einwirkungen, in einem vom Normalen
abweichenden Zustand befinden, haben des öfteren von denselben
Gegenständen andere Empfindungen als diejenigen Menschen, die sich
im Normalzustand befinden. Dieser Fall wird im allgemeinen so gedeutet,
daß die besonderen Empfindungen derer, die sich in einem vom Nor-
malen abweichenden Zustand befinden, subjektiv, insofern die betref-
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fenden Personen sie ja unbestreitbar haben, zwar durchaus wahr, objektiv
gesehen aber falsch sind; die tatsächliche Beschaffenheit der Gegenstände
erfasse man nur, wenn man sich im Normalzustand befinde. Eine solche
Ansicht erweist sich jedoch nach Meinung der Kyrenaiker sehr schnell
als höchst anfechtbar. Genaueres Nachdenken führt zu der Einsicht,
daß die Situation dessen, der sich im Normalzustand befindet, im Prinzip
nicht anders ist: Auch er vermag nur seine privaten Empfindungen zu
erkennen, nicht aber die Beschaffenheit der Gegenstände, die diese Emp-
findungen auslösen. Daß dem so ist, wird üblicherweise verkannt, weil
wir uns zur Bezeichnung der Dinge einheitlicher Wörter bedienen. Dies
nämlich führt zu der Annahme, mit den Wörtern würden allen gemeinsa-
me, d. h. allen gleich erscheinende, objektive Sachverhalte bezeichnet.
Eine solche Annahme ist jedoch durch nichts gerechtfertigt, wie folgende
Überlegung zeigt: Gesetzt den Fall, zwei nebeneinander stehende Perso-
nen nehmen einen und denselben Gegenstand wahr und bezeichnen ihn
beide z. B. als weiß, dann ist damit keineswegs bewiesen, daß die Emp-
findungen, die beide haben, die gleichen sind, da jeder von ihnen ja nur
die eigenen Empfindungen kennt. Vielmehr muß damit gerechnet wer-
den, daß die Empfindungen sowohl dieser beiden Personen als auch
der Menschen insgesamt infolge der je verschiedenen Konstitutionen ihrer
Sinnesorgane und Sinneswahrnehmungen durchaus verschieden sind. In
dem zu Beginn erwähnten Fall derer, die sich in einem vom Normalen
abweichenden Zustand befinden, ist dies offenkundig. Für wahrschein-
lich muß man es aber auch im Fall derer halten, deren Verfassung vom
Normalzustand nicht abweicht. Man muß daher annehmen, daß z. B. die
Farbempfindungen je nach der Farbe der Iris verschieden sind. Die Tat-
sache, daß wir die gleichen Wörter gebrauchen, ändert also nichts daran,
daß die Empfindungen rein privater Natur sind und daher eine zuverlässige
Aussage über die objektive Beschaffenheit der Dinge nicht zulassen
(M vii 192-8).
Dies ist ein Referat des Berichtes, den Sextus von der Erkenntnis-
lehre der Kyrenaiker gibt, freilich ein Referat, das Lücken aufweist und
dies mit voller Absicht. Was sich in dem Referat als in sich geschlossene,
folgerichtige Beweisführung darstellt, ist bei Sextus nämlich an zwei Stel-
len durch zusätzliche Argumente erweitert. Diese habe ich bei meinem
Referat weggelassen, weil sie sich bei genauerem Hinsehen als Fremd-
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körper innerhalb der Argumentation erweisen. Vermutlich handelt es sich
bei ihnen um Zutaten, die Sextus zu der Darstellung der kyrenaischen
Erkenntnislehre, die er in seiner Vorlage fand, aus eigenem Wissen hin-
zugefügt hat.
Der Sache nach geht es bei den beiden Zutaten um folgendes: Etwa
in der Mitte des Berichtes fügt Sextus ein Argument ein, das sich so
skizzieren läßt: Er stellt die Frage, ob die Empfindungen (πάθη) oder
die Dinge, die die Empfindungen bewirken (τὰ ποιητικὰ τῶν παθῶν),
als Erscheinungen (φαινόμενα) anzusetzen seien. Seine Antwort lautet,
daß die äußeren Dinge, die die Empfindungen bewirken, zwar möglicher-
weise durchaus existierten, daß Erscheinungen für uns aber nur die Emp-
findungen sein könnten, da allein sie erkennbar seien, während uns eine
Erkenntnis der äußeren Dinge aus vielerlei Gründen prinzipiell versagt
sei (M vii 193-5). Der Begriff der Erscheinung (φαινόμενον), um den es
in diesem Argument geht, kommt in dem Bericht allein an dieser Stelle
vor, sonst nirgends. Weshalb Sextus ihn hier einigermaßen unvermittelt
einführt, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, welche Rolle
die Erscheinung in den Überlegungen der pyrrhonischen Skeptiker spielte:
Sie galt ihnen als erkenntnistheoretisches und praktisches Kriterium. Of-
fenkundig handelt es sich bei diesem Einschub um eine skeptische Adap-
tation der kyrenaischen Erkenntnislehre, bei der diese in der Weise umin-
terpretiert und umformuliert ist, daß an die Stelle der Empfindungen
(πάθη) die Erscheinungen (φαινόμενα) treten. Da zwischen der kyrenai-
schen Erkenntnislehre und der der pyrrhonischen Skeptiker eine enge
Verwandtschaft bestand, war es nicht schwer, eine solche Uminterpreta-
tion und Umformulierung vorzunehmen. Wegen eben dieser Verwandt-
schaft zählt Sextus die Philosophie der Kyrenaiker auch zu den der pyrrho-
nischen Skepsis “benachbarten Philosophien” (PH i 209, vgl. 241).
Übereinstimmung und Unterschied zwischen den Erkenntnislehren der
Kyrenaiker und der Skeptiker bestimmt er dabei in der Weise, daß zwar
beide überzeugt seien, daß allein die Empfindungen erkennbar seien, daß
sie diesen Sachverhalt jedoch unterschiedlich beurteilten. Während die
Kyrenaiker behaupteten, daß die äußeren Dinge prinzipiell unerkennbar
seien, hielten sich die Skeptiker mit ihrem Urteil zurück (PH i 215)9.
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Bei der zweiten Zutat handelt es sich um einen Anhang am Schluß
des Berichtes, in dem Sextus ergänzend anfügt, daß die Empfindungen
nach Ansicht der Kyrenaiker nicht nur das erkenntnistheoretische, son-
dern auch das praktische Kriterium bilden. Bezüglich sämtlicher Empfin-
dungen gelte nämlich, daß sie entweder angenehm oder schmerzlich seien
oder dazwischen lägen, d. h. daß sie zwangsläufig verbunden seien entwe-
der mit einem Gefühl der Lust oder einem Gefühl des Schmerzes oder
einem Gefühl, welches weder das eine noch das andere, also in dieser
Hinsicht neutral sei. Und weiter gelte, daß die angenehmen Empfindun-
gen erwünscht und gut, die schmerzlichen unerwünscht und übel und
die weder angenehmen noch schmerzlichen weder gut noch übel seien.
Als größtes Gut (τέλος τῶν ἀγαθῶν) müsse daher die Lust (ἡδονή) und
als größtes Übel (τέλος τῶν κακῶν) der Schmerz (ἀλγηδών) gelten. Bis
hierher stimmt, was Sextus über die ethischen Lehren der Kyrenaiker
berichtet, mit dem überein, was wir in den Quellen auch sonst lesen.
Nun findet sich bei ihm jedoch noch ein weiteres drittes τέλος genannt,
das τέλος τῶν οὔτε κακῶν οὔτε ἀγαθῶν (Μ vii 199). Anders als die von
Sextus erwähnte Tatsache, daß die Kyrenaiker Empfindungszustände an-
nahmen, die zwischen Lust und Schmerz liegen, ist ein solches drittes
τέλος als Bestandteil der kyrenaischen Lehre sonst nirgends bezeugt, und
das, wie es scheint, mit gutem Grund. Fragt man sich doch vergeblich,
was für einen Sinn ein solches τέλος haben könnte. Sextus scheint sich
darüber selbst nicht im klaren gewesen zu sein, denn wenn er dieses τέλος
in der Weise bestimmt, daß es sich dabei um das οὔτε ἀγαθόν οὔτε κακόν
handle, das in einem πάθος μεταξὺ ἡδονῆς καὶ ἀλγηδόνος bestehe, dann
dreht er sich offenbar im Kreis. Es bleibt also einigermaßen rätselhaft,
was es mit diesem dritten τέλος auf sich hat. Man geht wohl nicht fehl,
wenn man vermutet, Sextus habe es ad hoc erfunden. Was ihn zu einer
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solchen Erfindung veranlaßt haben könnte, läßt sich allenfalls erahnen.
Vielleicht war es so etwas wie Systemzwang, vielleicht auch eine konfuse
Erinnerung an die zwischen der positiven Lust und dem Schmerz angesie-
delte καταστηματικὴ ἡδονή, die den Epikureern als das eigentliche τέλος galt.
Auf die kyrenaische Erkenntnislehre kommt Sextus in den erhalte-
nen Schriften noch ein weiteres Mal zu sprechen. In dem Buch Gegen
die Musiker findet sich folgende Argumentation (M vi 52 ff.): Da Grund-
element der Musik der Ton (φθόγγος) ist, kann es Musik und die theore-
tische Beschäftigung mit ihr nur geben, wenn als gesichert gelten kann,
daß es den Ton überhaupt gibt. Ebendies ist aber nicht der Fall. Ton
(φθόγγος) ist Spezies der Gattung Laut (φωνή). Bezüglich des Lautes
aber gibt es keine Übereinstimmung unter den Philosophen darüber, ob
es ihn gibt oder nicht gibt, und wenn es ihn gibt, ob er körperlich oder
unkörperlich ist. Im Rahmen dieser Argumentation gibt Sextus die An-
sicht der Kyrenaiker folgendermaßen wieder: Sie hätten die Ansicht ver-
treten, daß «allein die Empfindungen existierten (ύπάρχειν), sonst nichts,
und daß daher auch der Laut, da er keine Empfindung sei, sondern etwas,
was eine Empfindung bewirke, nicht zu den Dingen gehöre, die existie-
ren» (M vi 53). Was Sextus hier über die Kyrenaiker sagt, ist einigerma-
ßen überraschend; stimmt es doch offenkundig nicht mit dem überein,
was er selbst in dem gerade besprochenen Bericht als kyrenaische Lehre
referiert, und zwar völlig korrekt referiert, wie der Vergleich mit anderen
Zeugnissen beweist. Was die Kyrenaiker behaupteten, war nicht, daß
“der Laut nicht zu den existierenden Dingen gehört”, sondern, wie es
Cicero einmal zutreffend formuliert (Luc. 76 = S.S.R. iv a 209, 5-10), daß
«sie nicht wüßten, was für einen Ton etwas habe (z. B. einen hohen,
tiefen, lauten, leisen usw.), sondern allein dies verspürten, daß in be-
stimmter Weise auf sie eingewirkt werde». Natürlich stellt sich die Frage,
was Sextus veranlaßt haben mag, die kyrenaische Lehre in der Weise,
wie er es tut, zu verfälschen. Die Antwort dürfte lauten, daß er dies
getan hat, um sie für seine spezielle Argumentation überhaupt heranzie-
hen zu können. Zu diesem Zweck hat er die erkenntnistheoretische Lehre
der Kyrenaiker so hingebogen, daß aus ihr eine ontologische Lehre wur-
de. Für die Kyrenaiker ist eine solche weder bezeugt noch, weil mit ihrer
erkenntnistheoretischen Position nicht vereinbar, überhaupt vorstellbar.
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Was Sextus über diejenigen Philosophen zu berichten weiß, die in
unseren Philosophiegeschichten gemeinhin den Megarikern zugerechnet
werden10, ist, sieht man von den beiden Themenkomplexen ab, die im
folgenden eingehend behandelt werden sollen, sehr wenig. In den oben
schon einmal herangezogenen Eingangskapiteln der Schrift Gegen die
Dogmatiker nennt er als solche, die sich allein mit der Logik befaßt
hätten, Eubulides, Alexinos, Panthoides und Bryson (M vii 13); und in
dem gleichfalls schon einmal erwähnten Abschnitt im in. Buch derselben
Schrift, in dem er die stoischen Gottesbeweise und die Gegenargumente
zusammenstellt, die gegen sie vorgebracht wurden, zitiert er ein auch bei
Cicero in einem gleichartigen Kontext (de nat. deor. iii 23) überliefertes
Argument, mit dem der Megariker Alexinos einen Gottesbeweis Zenons
ad absurdum zu führen versuchte (M ix 108).
6.2 Diodor und Philon über die Wahrheitsbedingungen von Konditionalaussagen
Sextus kennt und unterscheidet vier verschiedene Bestimmungen der
Gültigkeit von Konditionalaussagen: 1. diejenige Philons, 2. diejenige
Diodors, 3. die Bestimmung derer, die «den Zusammenhang einführen
(οἱ τὴν συνάρτησιν εἰσάγοντες) » (sie wurde, wie sich aus anderen Quellen
ergibt, wofern sie nicht von Chrysipp stammt, auf jeden Fall von ihm
propagiert11) und 4. eine sonst nicht bezeugte Bestimmung, die er als
die Bestimmung derjenigen bezeichnet, «die nach dem Verweisungs-
zusamenhang12 urteilen (oἱ τῇ ἐμφάσει κρίνοντες)» (wie sie zu verstehen
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ist, läßt sich nicht sicher ermitteln, ihre Herkunft ist unbekannt13). Die
Phiionische Bestimmung schreibt Sextus bisweilen auch den Stoikern zu
(PH ii 104-105; M viii 245-247), was insoweit zu Recht geschieht, als
zumindest einige Stoiker sie erwiesenermaßen übernahmen14, allerdings
keineswegs alle, wie allein schon die gerade erwähnte Tatsache beweist,
daß Chrysipp anderer Meinung war. Sie gilt Sextus gleichsam als die
Grundform (vgl. M viii 265), aus der sich die anderen Bestimmungen in
der Reihenfolge, in der sie gerade aufgezählt wurden, durch zunehmende
Verschärfung der Bedingungen herleiten lassen.
Alles dies ist dem 11. Kapitel des ii. Buches der Pyrrhonischen Hypo-
typosen zu entnehmen (PH ii 104 ff.). Dort diskutiert Sextus die Frage,
ob es ein anzeigendes Zeichen gibt15. Ausgangspunkt ist die folgende
Definition des Zeichens, die Sextus ausdrücklich als stoisch bezeichnet:
«Ein Zeichen ist eine Aussage, die in einer richtigen Konditionalaussage
vorausgeht und den Nachsatz enthüllt» (PH ii 104). Es folgen Erläute-
rungen zu den vier Elementen, aus denen die Definition zusammenge-
setzt ist (ἀξίωμα, ὑγιὲς συνημμένον, προκαθηγούμενον, ἐκκαλυπτικόν τοῦ
λήγοντος). Das ὑγιὲς συνημμένον, die richtige Konditionalaussage, wird
dabei im Sinne Philons, dessen Name hier freilich nicht genannt ist, als
diejenige Konditionalaussage bestimmt, die «nicht mit Wahrem beginnt
und mit Falschem endet», so daß, wie im einzelnen ausgeführt und mit
Beispielen illustriert wird, allein die Folge wahr-falsch eine falsche
Konditionalaussage bildet, die drei anderen möglichen Folgen dagegen
allesamt richtige (ibid. 104-106). In einem dritten Teil werden dann die
vier Elemente der Definition und die ihnen angefügten Erläuterungen
attackiert mit dem Ziel zu zeigen, daß sie allesamt auf unhaltbaren
Annahmen basieren, womit nach Auffassung des Sextus bewiesen ist, daß
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«das Zeichen unerkennbar ist» (ibid. 107-118). Im Fall des dritten
Elementes, auf das allein es uns hier ankommt, also im Fall der richtigen
Konditionalaussage geschieht dies in der Weise, daß Sextus der Bestim-
mung der Konditionalaussage, die der Definition zugrunde liegt und die
er hier jetzt ausdrücklich als diejenige Philons bezeichnet, die drei ande-
ren gerade genannten gegenüberstellt, und zwar in der erwähnten Reihen-
folge, so daß die Bedingungen der später genannten Bestimmungen
jeweils alle zuvor angeführten Beispielsätze aus richtigen in falsche Kon-
ditionalaussagen verwandeln. Abschließend resümiert Sextus dann, daß,
da keiner der vier genannten Bestimmungen mit guten Gründen der
Vorzug vor den drei anderen gegeben werden könne, sich die richtige
Konditionalaussage als unerkennbar erweise (ibid. 110-115)16.
In der gleichen Absicht wie in dem gerade referierten Text, nämlich
in der, bestimmte Lehren der Dogmatiker mittels des διαφωνία-
Argumentes als unhaltbar zu erweisen, benutzt Sextus die Meinungs-
verschiedenheit bezüglich der richtigen Konditionalaussage im Rahmen
einer Kritik, der er eine ihm vorliegende Klassifikation der einfachen und
nicht-einfachen = zusammengesetzten Aussagen unterzieht (M viii 93-
129)17. Der andersartigen Thematik entsprechend holt Sextus hier er-
heblich weiter aus. Zunächst beschreibt er die Struktur der Konditional-
aussage und ihre Bedeutung: Es handelt sich um eine nicht-einfache
Aussage, die aus einem mit εί oder εἴπερ eingeleiteten Vordersatz und
einem Nachsatz zusammengesetzt ist und die «in Aussicht stellt, daß
aus dem im Vordersatz Ausgesagten das im Nachsatz Ausgesagte folgt»
(ibid. 109, 111). Sodann konstatiert er, daß zwar Übereinstimmung dar-
über bestehe, daß eine Konditionalaussage immer dann richtig sei, wenn
das im Nachsatz Ausgesagte aus dem im Vordersatz Ausgesagten folgt,
nicht aber darüber, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit dies
der Fall ist. Ebendies illustriert er im folgenden, indem er exempli
— 97 —
gratia18 die unterschiedlichen Auffassungen Philons und Diodors ein-
ander gegenüberstellt (ibid. 113-117). Da es auch in diesem Fall wieder
allein darum geht, die Meinungsverschiedenheit als solche zu doku-
mentieren, stimmt die Darstellung, die Sextus hier von den Auffas-
sungen Philons und Diodors gibt, mit der der Pyrrhonischen Hypoty-
posen abgesehen von der erheblich größeren Ausführlichkeit völlig
überein, bietet also keinerlei belangvolle Ergänzungen. Auf die Hinter-
gründe kommt Sextus auch hier nicht zu sprechen. Er äußert sich
mithin weder dort noch hier zu der Frage, wie Diodor und Philon
zu ihren allem Anschein nach aufeinander bezogenen Auffassungen
gelangten und wie sich die offenkundig durch systematische Gesicht-
punkte bedingte Reihenfolge, in der Sextus sie beide Male referiert,
zu ihrer chronologischen Reihenfolge verhält19. Darüber erfahren wir
im übrigen auch sonst nichts, da außer den beiden gerade besprochenen
Zeugnissen bei Sextus keinerlei weitere Texte erhalten sind, denen
ergänzende Informationen zu diesem Thema zu entnehmen wären20.
Wir erfahren daher auch nicht das Mindeste darüber, ob eine Bezie-
hung zwischen den unterschiedlichen Bestimmungen Diodors und Phi-
lons über die richtige Konditionalaussage und ihren unterschiedlichen
Modaltheorien (S.S.R. ii f 24-33) bestand. Bedenkt man, daß Diodor,
wie wir dank den beiden besprochenen Zeugnissen bei Sextus wissen,
als richtige Konditionalaussage die bestimmte, «bei der es weder mög-
lich war noch möglich ist, daß sie mit Wahrem beginnt und mit Fal-
schem endet» (PH ii 110; M viii 115), dann liegt die Vermutung nahe,
daß zumindest im Falle Diodors eine solche Beziehung bestand. Wel-
cher Art sie gewesen sein könnte, darüber kann man nur spekulieren
— 98 —
und ist natürlich auch spekuliert worden21. Da solche Spekulationen
mit Sextus nichts zu tun haben, brauche ich auf sie hier nicht einzugehen.
6.3 Diodors Argumente gegen die Bewegung
Als Beispiel dafür, daß die Grammatiker nicht selten literarischen
Texten gegenüber kapitulieren und die Hilfe anderer suchen müssen, zi-
tiert Sextus in dem Buch Gegen die Grammatiker zwei Verse eines verlo-
ren gegangenen Epigramms des Kallimachos auf Diodoros Kronos. Sie
lauten: ἠνίδε κοἰ κόρακες τεγέων ἔπι ῾κοῖα συνῆπται᾽ / κρώζουσιν ῾καὶ
κῶς αὖθι γενησόμεθα;’ (Μ i 309 = Callim. fr. 393, 3-4 Pfeiffer). Sextus
fährt fort: Daß Kallimachos in diesen Versen auf Diodors Lehre bezüglich
der richtigen Konditionalaussage anspiele (κοῖα συνῆπται;), das wisse ver-
mutlich auch der Grammatiker, nicht jedoch, was es mit den Worten
κῶς αὖθι γενησόμεθα auf sich habe. Da müsse ihm der Philosoph helfen.
Er müsse ihm erklären, daß Diodor die Auffassung vertreten habe, daß
sich nichts bewege, und zwar mit folgendem Argument: Was sich bewegt,
bewegt sich entweder an dem Ort, an dem es ist, oder an dem, an dem
es nicht ist. Nun ist aber weder das erste noch das zweite der Fall. Also
bewegt sich nichts. Aus der Tatsache, daß sich nichts bewege, folge nun
aber, so Sextus weiter, daß das Lebewesen, da es weder zu der Zeit
sterbe, zu der es lebe, noch zu der, zu der es nicht lebe, niemals sterbe.
Und er resümiert: «Wenn dies der Fall ist, dann werden wir, da wir
ewig leben, nach Diodors Auffassung auch in Zukunft entstehen (εἰ δὲ
τοῦτο, ἀεὶ ζώντες κατ’ αὐτὸν καὶ αὖθις γενησόμεθαν)» (Μ i 310-312).
Man hat zu Recht darauf hingewiesen22, daß es nicht nachvollziehbar
— 99 —
ist, wie Sextus zu diesem Resümee gelangt. Vorausgesetzt, der Text des
Sextus ist hier vollständig und richtig überliefert, kommt man nicht
um die Feststellung herum, daß Sextus sich hier als unfähig erweist,
als Philosoph dem Grammatiker die Hilfe zu leisten, die zu leisten er
seinen eigenen Worten zufolge eigentlich in der Lage sein müßte. Wie
aber ist die Frage κῶς αὖθι γενησόμεθα, die Kallimachos die Raben
krächzen läßt, dann zu verstehen? M. J. White hat jüngst die folgende
einleuchtende Erklärung gegeben23: αὖθι ist nicht, wie Sextus meint
und ihm folgend alle bisherigen Interpreten angenommen haben, im
Sinne von αὖθις zeitlich, sondern im Sinne von αὐτόθι räumlich zu verste-
hen24. In Anspielung auf Diodors gleich zu erwähnende These, daß
sich zwar nichts bewegt, wohl aber etwas bewegt hat, läßt Kallimachos
die Raben also fragen: «Wie werden wir ebendorthin kommen?»25 (scil.
wo wir, wenn wir uns bewegt haben, sein werden).
Auf Diodors Argument bzw. Argumente gegen die Bewegung kommt
Sextus außer an der gerade zitierten Stelle auch sonst noch mehrfach
zu sprechen. Bevor ich darauf näher eingehe, möchte ich folgendes vor-
ausschicken: Bei Aetius und in anderen Sammlungen von Placita philoso-
phorum finden sich unter dem Namen Diodors zwei Lehren verzeichnet,
nämlich 1. die, daß «sich zwar etwas bewegt habe, sich jedoch nichts
bewege (κεκινήσθαι μέν τι, κινεῖσθαι δὲ μηδέν)» (S.S.R. ii f 11), und 2.
die, daß Urelement aller Dinge «kleinste, unteilbare Körper» seien
(ἐλάχιστα καὶ ἀμερῆ σώματα) (S.S.R. ii f 8-10). Die beiden Lehren wer-
den in allen diesen Quellen völlig getrennt voneinander überliefert. Auch
Sextus referiert sie in der Mehrzahl der Fälle ohne jede Beziehung zuein-
ander26. Allein im Rahmen des umfangreichen kritischen Berichtes, den
— 100 —
er im iv. Buch der Schrift Gegen die Dogmatiker von Diodors Beweisen
gegen die Bewegung gibt (M x 85-120), und an einer späteren diesen
Bericht aufgreifenden Stelle des gleichen Buches (M x 143) macht Sextus
deutlich, daß und wie die beiden Lehren zusammengehören. Dieser Be-
richt stellt eine erheblich erweiterte und ergänzte Fassung eines Vorläu-
fers in den Pyrrhonischen Hypotyposen dar (PH iii 71-75), der von einer
solchen Beziehung nichts hatte verlauten lassen. Auf ihn wollen wir unse-
ren Blick zunächst richten.
In den Pyrrhonischen Hypotyposen zitiert Sextus Diodors Argument
gegen die Bewegung zunächst in der Form, in der er es, von kleinen,
den Sinn nicht verändernden Unterschieden abgesehen, in der Mehrzahl
der Fälle zitiert und in der er von ihm in dem umfangreichen Bericht
in der Schrift Gegen die Dogmatiker als dem «allseits bekannten Argu-
— 101 —
ment (ὁ περιφορητικὸς λόγος)»27 (M x 87) spricht: «Wenn sich etwas
bewegt, bewegt es sich entweder an dem Ort, an dem es ist, oder
an dem, an dem es nicht ist. Es bewegt sich aber weder an dem, an
dem es ist, denn an ihm ruht es, wofern es an ihm ist; noch an dem,
an dem es nicht ist, denn wo etwas nicht ist, da kann es weder etwas
tun noch etwas erleiden. Also bewegt es sich nicht». Sextus fährt fort:
«Dieses Argument hat viele Widerlegungen erfahren, von denen ich dem
Charakter meiner Schrift entsprechend nur die schlagenderen vortragen
will zusammen mit der Beurteilung, wie sie sich uns (seil. Skeptikern)
darstellt» (PH iii 71).
Drei solcher Widerlegungen führt Sextus im folgenden samt Beurtei-
lungen an: 1. Manche behaupten, es sei durchaus möglich, daß sich etwas
an dem Ort bewege, an dem es sei; es sei dies z. B. der Fall bei Kugeln,
die sich um ihre Achse drehten. Dazu Sextus: In dem genannten Fall
müsse man das Argument nur von der Kugel als ganzer auf ihre Teile
übertragen, dann sei es wieder anwendbar (ibid. 72). 2. Andere behaup-
ten, das sich Bewegende sei mit zwei Orten verbunden (δυεῖν ἔχεται
τόπων), nämlich dem, an dem es sich befinde, und dem, zu dem es
sich hinbegebe. Ihnen ist die Frage entgegenzuhalten, wann das sich
Bewegende sich denn eigentlich von dem Ort, an dem es sich befinde, zu
dem anderen hinbegebe. Dies sei weder der Fall, wenn es an dem ersten
sei, denn dann sei es dort; wenn es sich an ihm aber nicht mehr befinde,
könne es sich von ihm auch nicht mehr fortbegeben (ibid. 73-74)28. 3.
Wieder andere behaupten, das Wort “Ort” (τόπος) werde in zweierlei
Bedeutung gebraucht, einer weiteren, in der es z. B. das Haus bezeichne,
in dem man wohnt, und einer exakten, in der es genau jenen Platz be-
zeichne, den etwas einnimmt bzw. ausfüllt29. Wenn man sage, etwas
— 102 —
bewege sich an einem Ort, dann meine man “Ort” nicht in der exakten,
sondern in der weiten Bedeutung. Auch diesen Widerlegungsversuch
kann Sextus leicht entkräften: Der angeblich sich bewegende Körper be-
findet sich innerhalb des Ortes im weiten Sinn an einem Ort im exakten
Sinn, in dem Rest des Ortes im weiten Sinn dagegen nicht. Da er sich
nun aber, wie gezeigt, weder an dem Ort im exakten Sinn bewegt, an
dem er sich befindet, noch an dem Rest des Ortes im weiten Sinn, an
dem er sich ja nicht befindet, bewegt er sich nicht (ibid. 75).
Der entsprechende Bericht im iv. Buch der Schrift Gegen die Dogma-
tiker (M x 85-120) ist um ein Vielfaches umfangreicher. Dies hat zwei
Gründe: Zunächst einmal hat Sextus die Argumentation überall erheblich
verbreitert, vor allem aber hat er mehrere neue Argumente samt Repliken
hinzugefügt. Wo und wie er dies gemacht hat, zeigt das folgende Auf-
bauschema:
hung der Hypothese von den άμερῆ 87-111 Das “allseits bekannte” (περιφορητικός, 87) Argument, ohne
Einbeziehung der Hypothese von den ἀμερῆ ( = PH iii 71-75) 87-90a Das “allseits bekannte” Argument mit Erläuterungen
(= PH iii 71) 90b-lll 5 Gegenargumente mit Repliken 91-92/97-102 1. Gegenargument, 2 Entgeg-
nungen Diodors, jeweils mit nach-
folgender Replik des Sextus 93/103-104 2. Gegenargument mit nachfol-
gender Replik des Sextus
( = PH iii 72) 94/105-107 3. Gegenargument mit nachfol-
gender Replik des Sextus
( = PH m 73-74) 95/108-110a 4. Gegenargument mit nachfol-
gender Replik des Sextus
( = PH iii 75) 96/110b-111 5. Gegenargument mit nachfol-
gender Replik des Sextus
— 103 —
Argumente, das zweite davon unter Einbeziehung der Hypo-
these von den ἀμερῆ 112b Das 1. Argument 113-118 Das 2. Argument mit Replik des Sextus 119-120 Ein weiteres Argument eines nicht genannten Urhebers, unter
Einbeziehung zeitlicher und räumlicher ἀμερῆ
In diesem Schema ist zu jedem Teilstück vermerkt, ob es eine Paral-
lele in dem entsprechenden Bericht in den Pyrrhonischen Hypotyposen
hat und ob in ihm die Lehre von den ἀμερῆ in die Argumentation einbe-
zogen ist. Faßt man diese Vermerke insgesamt in den Blick, dann wird
sogleich zweierlei deutlich: 1. Der Mittelteil des Berichtes (87-111) stellt
eine um zwei Gegenargumente (Nr. 1 und 5) erweiterte Fassung des Be-
richtes in den Pyrrhonischen Hypotyposen dar. Wie dort wird dabei auch
hier mit keinem Wort auf die Lehre von den ἀμερῆ Bezug genommen.
2. Ebendiese Lehre von den ἀμερῆ ist jedoch, sieht man von einer aus
dem Rahmen fallenden Ausnahme ab (112b)30, Bestandteil aller Argu-
mente, die vor und nach dem Mittelteil hinzugefügt sind (85-86; 112-
120). Dieser Befund läßt sich schwerlich anders als so deuten, daß Sextus
hier zwei Vorlagen ineinander gearbeitet hat, von denen die eine (A) die
άμερῆ berücksichtigte, die andere (B), die zugleich die Vorlage des Be-
richtes in den Pyrrhonischen Hypotyposen ist, dagegen nicht31. Eine sol-
che Annahme wird durch zwei weitere Beobachtungen bestärkt: 1. Der
Bericht beginnt damit, daß Sextus ein “gewichtiges” Argument zitiert
(85-86). Im Anschluß an den Mittelteil ergänzt er dieses “gewichtige”
Argument durch zwei “nicht so gewichtige” (112-117). Beide Zitate sind
offenkundig aufeinander bezogen, entstammen also einer und derselben
Vorlage. 2. Der Mittelteil beginnt damit, daß Sextus Diodors, wie er sagt,
“allseits bekanntes” Argument gegen die Bewegung zitiert (87). Ver-
gleicht man dieses Argument mit jenem, mit dem der Gesamtbericht
beginnt (86), dann zeigt sich, daß es sich im Prinzip um ein und
— 104 —
dasselbe Argument handelt und wir nur deshalb keine reine Dublette vor
uns haben, weil dieses Argument am Beginn des Gesamtberichtes in ange-
reicherter Form erscheint, und zwar angereichert 1. durch die Einbezie-
hung der Lehre von den ἀμερῆ und 2. durch die am Schluß hinzugefügte
paradoxe Feststellung, daß sich zwar nichts bewege, wohl aber, wie der
Augenschein beweise, etwas bewegt habe.
Nach diesen Bemerkungen zu dem Bericht als ganzem wende ich
mich nun den Details zu. Ich beginne mit dem Mittelteil (87-111).
Vergleicht man ihn mit dem entsprechenden Bericht in den Pynhoni-
schen Hypotyposen, dann erweist sich als hauptsächlicher Unterschied der,
daß am Anfang und am Ende jeweils ein Gegenargument mit Replik bzw.
Repliken hinzugefügt ist. Was die drei hier wie dort referierten Gegenar-
gumente und die ihnen zugeordneten Repliken betrifft, so ist hier zwar,
wie schon erwähnt wurde, alles breiter ausgeführt, grundlegende Unter-
schiede gibt es jedoch nicht. Auf eines sollte aber immerhin aufmerksam
gemacht werden: Bei der Zurückweisung des Gegenargumentes Nr. 2,
das, um zu beweisen, daß sich doch etwas an dem Platz bewegen kann,
an dem es sich befindet, auf Fälle wie den der sich um ihre Achse
drehenden Kugel verweist (93, 103-104 = PH iii 72; vgl. S. 101), merkt
Sextus an, daß er dieses Gegenargument schon an einer früheren Stelle
des gleichen Buches, gemeint ist § 5232 entkräftet habe. Dort war
das gleiche Gegenargument dazu benutzt worden, die Definition der
Bewegung als «Übergang von einem Ort zu einem anderen» (50) als
unzureichend zu erweisen. Als Definition, die auch Fälle wie den der
sich um ihre Achse drehenden Kugel berücksichtigt, hatte Sextus da-
raufhin die folgende zitiert: Bewegung sei «Übergang von einem Ort
zu einem anderen entweder des ganzen Körpers oder der Teile des
Ganzen» (52), gleich danach dann allerdings darauf verwiesen, daß
auch diese Definition unzulänglich sei, weil es reale und denkbare
Fälle von Bewegung gebe, die auch durch diese Definition nicht erfaßt
würden (53-59), und dabei neben anderen den folgenden Fall genannt:
«Wenn wir uns einen teillosen kleinsten Körper (ἀμερὲς καὶ ἐλάχιστον
σῶμα) denken, der sich an derselben Stelle dreht, d. h. kreisförmig,
dann wird eine ortsverändernde Bewegung stattfinden, der sich bewe-
— 105 —
gende Körper aber wird weder als ganzer den Ort verlassen, an dem er
sich befindet, noch zu einem Teil, als ganzer nicht, weil die Annahme
zugrunde liegt, daß er sich an derselben Stelle kreisförmig dreht, zu
einem Teil nicht, weil er teillos ist» (58). So wie dieses Argument hier
formuliert ist, kann es sich eigentlich nur gezielt gegen Diodor und seine
Beweise gegen die Bewegung richten, genauer gesagt: gegen seine Beweise
in der Form, in der sie sich auf die Annahme kleinster unteilbarer Körper
stützen. Die Frage liegt nahe, warum Sextus dieses Argument in seinem
Bericht über Diodors Beweise gegen die Bewegung und die Gegenargu-
mente, die gegen sie vorgebracht wurden, nicht auch aufgreift. Vermut-
lich schlicht und einfach deshalb, weil die ἀμερῆ in der Vorlage, die er
für diesen Teil seines Berichtes benutzte, nicht vorkamen.
Wenden wir uns nun den beiden Gegenargumenten des Mittelteiles
zu, die keine Parallelen in den Pyrrhonischen Hypotyposen haben.
Das Gegenargument Nr. 5 bereitet interpretatorische Schwierigkei-
ten. Es lautet: «Manche haben gemeint, Diodors Argument sei nicht-
schlüssig, weil es mit einer Disjunktion beginne und diese mittels dessen,
was folge, falsifiziere (ψευδοποιεῖ), indem es nämlich jede der beiden Aus-
sagen in ihr als falsch erweise, die, daß sich etwas an dem Ort bewege,
an dem es sich befinde, und die, daß es sich an dem bewege, an dem
es sich nicht befinde» (96). Worin sahen die Kritiker, deren Gegenargu-
ment Sextus hier referiert, eigentlich die Unzulänglichkeit des diodorei-
schen Argumentes? Nichtschlüssig soll es ihrer Ansicht nach deshalb sein,
weil es mit einer Disjunktion beginne, die dadurch falsifiziert werde, daß
jede der beiden Aussagen, aus denen sie zusammengesetzt sei, als falsch
erwiesen werde. Wieso das?
Sehen wir uns die Replik an, mit der Sextus dieses
Gegenargument
kommentiert; vielleicht lassen sich aus ihr Verständnishilfen
gewinnen.
Die Replik lautet: «Zu behaupten, das Argument sei falsch, weil es
mit
einer Disjunktion beginne und diese Disjunktion falsifiziere, ist
äußerst
dummes Geschwätz. Denn die einzelnen Schritte des Argumentes
sind
folgerichtig zustande gekommen und haben die folgende
Beweiskraft:
“Wenn sich etwas bewegt, muß es sich auf eine der beiden zuvor
genann-
ten Weisen bewegen. Das Zweite ist aber nicht der Fall; also auch nicht
das Erste”. Denn wenn, wofern das Erste der Fall ist, das Zweite der
Fall ist, dann wird, wofern das Zweite nicht der Fall ist, auch das Erste
— 106 —
nicht der Fall sein. Und dies ist auch nach den Annahmen der Dialektiker
selbst richtig» (110-111).
Sollte der Irrtum der Kritiker Diodors damit wirklich richtig wieder-
gegeben sein, dann wäre ihr Einwand in der Tat, wie Sextus schreibt,
schlichtweg lächerlich. Gerade dies, daß ihr Irrtum so offenkundig wäre,
weckt aber Zweifel daran, ob Sextus den Einwand richtig verstanden
hat, und dies umso mehr, als sich dem am Schluß angefügten Satz entneh-
men läßt, daß es sich bei den Kritikern um dialektisch geschulte Personen
handelt, denn offenkundig ist dieser Satz so zu verstehen, daß Sextus
den Kritikern vorhält, daß sie als Dialektiker doch eigentlich wissen müß-
ten, wie unsinnig ihr Einwand ist. Wir müssen daher, wie mir scheint,
damit rechnen, daß Sextus den Einwand mißverstanden hat. Was die
Kritiker seinen Worten zufolge bemängelten, war, daß Diodors Argument
die Disjunktion, mit der es beginne, dadurch falsifiziere, daß es jede der
beiden Aussagen, aus denen sie zusammengesetzt sei, falsifiziere. Das
heißt: Sie wandten ein, daß eine Falsifikation der Disjunktion auf diese
Weise nicht möglich sei. Was könnte sie zu diesem Einwand veranlaßt
haben? Bedenkt man, daß in dem Gegenargument Nr. 3 eine dritte Mög-
lichkeit, sich Bewegung zu denken, in die Diskussion eingeführt wird,
dann muß in Erwägung gezogen werden, ob Diodors Kritiker die Mangel-
haftigkeit seines Beweises nicht vielleicht darin sahen, daß die Disjunk-
tion, da sie in Wirklichkeit nicht, wie Diodor glaube, eine zwei-, sondern
eine dreigliedrige sei, nicht auf die Weise falsifiziert werden könne, auf
die Diodor dies tue bzw. tun zu können meine33. So gesehen, würde
der Schwarze Peter, den Sextus den Kritikern Diodors zuschieben zu
können glaubt, in Wahrheit bei ihm selbst landen34.
Das letzte noch zu besprechende Gegenargument des Mittelteiles,
das Gegenargument Nr. 1, und die ihm zugeordnete Replik fallen in
mehrfacher Hinsicht aus dem Rahmen. Zunächst einmal schon rein
— 107 —
äußerlich, insofern Sextus hier dem Gegenargument nicht nur wie in den
anderen Fällen eine einfache Replik, sondern zwei Entgegnungen Diodors
mit angefügten Repliken entgegenstellt (97-102). Doch auch inhaltlich
weicht dieses Gegenargument von den vier anderen in gravierender Weise
ab: Es attackiert nämlich nicht wie diese Diodors Beweis gegen die Bewe-
gung in der “allseits bekannten” Form (88), sondern Diodors zuvor (88)
zitierte paradoxe Behauptung, daß sich zwar nichts bewege, wohl aber
etwas bewegt habe. Das von Sextus sehr umständlich und möglicherweise
ohne vollständige Einsicht in das Gemeinte35 referierte Gegenargument
Nr. 1 läßt sich so skizzieren: Das abgeschlossene Tempus (συντελεστικόν)
ist die “Grenze” (πέρας) des Verlaufstempus (παρατατικόν). Die Grenze
einer Sache kann es nur dann geben, wenn es die Sache selbst gibt.
Mithin kann es das abgeschlossene Tempus (im vorliegenden Fall das
Perfekt) nur dann geben und kann eine Aussage im abgeschlossenen
Tempus (hier im Perfekt) nur dann wahr sein, wenn es das ihm entspre-
chende Verlaufstempus (im vorliegenden Fall das Präsens) gibt und die
entsprechende Aussage im Verlauf stempus (hier im Präsens) wahr ist.
Umgekehrt muß, wenn eine Aussage im Verlaufstempus (hier im Präsens)
falsch ist, auch die ihr entsprechende Aussage im abgeschlossenen Tem-
pus (hier im Perfekt) falsch sein. Wie also die Perfekte “geworden sein”
und “zugrunde gegangen sein” nicht wahr sein können, ohne daß auch
die Präsentia “werden” und “zugrunde gehen” wahr sind, so kann auch
das Perfekt “sich bewegt haben” nicht wahr sein, ohne daß das Präsens
“sich bewegen” wahr ist (91-92).
Dieses Gegenargument nimmt Diodors Behauptung, daß sich zwar
nichts bewegt, wohl aber etwas bewegt hat, sozusagen beim Wort und
sucht mit logisch-semantischen Mitteln zu zeigen, daß eine Aussage im
abgeschlossenen Tempus nur dann wahr sein kann, wenn auch die ihr
entsprechende Aussage im Verlaufstempus zu einem früheren Zeitpunkt
wahr war. Diodor nahm die Herausforderung an. Wie wir durch Sextus
erfahren, antwortete er auf die Kritik, indem er drei Beispiele anführte, in
denen die von seinen Kritikern aufgestellte Regel nicht gelte36. Das erste
— 108 —
dieser Beispiele sei zur Illustration genannt: Angenommen, zwei Männer
haben in aufeinander folgenden Jahren geheiratet, dann ist in bezug auf
sie «zwar die Aussage “Diese haben geheiratet” (οὗτοι ἔγημαν), die eine
Aussage im abgeschlossenen Tempus (hier im Aorist) ist, wahr, die Aus-
sage “Diese heiraten” (οὗτοι γαμοῦσι), die eine Aussage im Verlaufs-
tempus (Präsens) ist, dagegen falsch. Die Aussage “Diese heiraten” wäre
in ihrem Fall nur dann wahr, wenn sie gleichzeitig heirateten» (97).
Sextus weist dieses Beispiel in seiner Replik als sophistisch zurück
(σοφίζεται ὁ Διόδωρος, 99), da ihm, was er im einzelnen näher erläutert,
eine Amphibolie zugrunde liege. Auch die beiden anderen von Diodor
angeführten Beispiele erklärt er für nicht beweiskräftig. Er konstatiert
daher am Schluß des Abschnittes, in dem er sich mit dem 1. Gegenargu-
ment auseinandersetzt: «Es ist also widersinnig, wenn Diodor sich an
das “Sich-bewegt-haben” als wahr klammert, das “Sich-bewegen” aber
als falsch ablehnt, wo man doch entweder beidem zustimmen oder beides
ablehnen müßte» (102). Am Schluß dieses Abschnittes steht mithin eine
deutliche Zurückweisung der Behauptung Diodors. Es ist dies ein wei-
terer dritter Punkt, in dem sich dieser Abschnitt von den vier anderen
des Mittelteils in gravierender Weise unterscheidet: Während Sextus in
jenen Diodor stets gegen vorgebrachte Kritik in Schutz nimmt, erklärt
er hier Diodors Versuche für gescheitert, seine Behauptung, daß sich
zwar nichts bewege, wohl aber etwas bewegt habe, zu verteidigen, stellt
sich also mit Entschiedenheit auf die Seite der Kritiker Diodors.
Mit der gerade zitierten Schlußbemerkung wiederholt und bekräftigt
Sextus resümierend nahezu wörtlich jene Kritik, mit der er seine Darstel-
lung des “gewichtigen” Argumentes am Anfang seines Berichtes über
Diodors Beweise gegen die Bewegung beschlossen hatte: «Wie sollte es
nicht widersinnig sein zu behaupten, daß sich, wiewohl sich nichts bewegt,
dennoch etwas bewegt hat?» (86). Was dies zu bedeuten hat, wird deutlich
werden, sobald wir uns etwas eingehender mit dem Argument beschäftigt
haben, mit dem Diodor die Richtigkeit der von Sextus als widersinnig
gebrandmarkten These zu beweisen versucht hatte. Es lautet: «Der teillose
— 109 —
Körper muß sich an einem teillosen Ort (ἐν ἀμερεῖ τόπῳ) befinden, und
deshalb bewegt er sich weder an ihm — denn er füllt ihn ja aus; was
sich bewegen soll, muß aber einen Ort haben, der größer ist als es selbst
— noch an einem Ort, an dem er nicht ist — denn er ist noch nicht
an ihm, um sich an ihm zu bewegen. Daher bewegt er sich überhaupt
nicht. Er hat sich jedoch bewegt, wie der Verstand lehrt (κατὰ λόγον).
Denn was zuvor an diesem Ort gesehen wurde, das wird jetzt an einem
anderen gesehen, was nicht geschähe, wenn es sich nicht bewegt hätte»
(85-86).
Dieses Argument ist in letzter Zeit mehrfach Gegenstand weit aus-
greifender Studien gewesen37. Mit ihnen kann und will ich hier nicht
konkurrieren und brauche es auch nicht. Da es hier ja nicht so sehr um
Diodors Bewegungslehre als solche, sondern um deren Darstellung durch
Sextus geht, kann ich mich auf das konzentrieren, was bei ihm zu lesen
ist; und da möchte ich die Aufmerksamkeit zunächst einmal auf einen
Punkt lenken, der die Art und Weise betrifft, in der Sextus das Argu-
ment darstellt. Ich meine die Tatsache, daß in der Mitte des Argumentes
ein bemerkenswerter Subjektwechsel stattfindet. Subjekt (bzw. am An-
fang Subjektakkusativ) ist im ersten Teil des Argumentes τὸ ἀμερὲς
σῶμα. Ebendies kann im zweiten Teil des Argumentes nicht mehr Sub-
jekt sein, aus dem einfachen Grund, daß ein ἀμερὲς σῶμα nicht gesehen
werden kann. Neues Subjekt ist τὸ πρότερον ἐν τῷδε τῷ τόπῳ θεωρού-
μενον, was sich allein auf sichtbare Gegenstände, keinesfalls aber auf ein
ἀμερὲς σῶμα beziehen kann. Das Subjekt von κεκίνηται bildet gleichsam
die Drehscheibe und changiert zwischen den unterschiedlichen Bedeutun-
gen der beiden Subjekte.
— 110 —
Was besagt diese Beobachtung? Sie besagt, wie mir scheint, daß in
dem Argument zwei Teile miteinander verbunden sind, die auf ganz ver-
schiedenen Stufen stehen. Die Folge ist ein Paradox. Ebendies kreidet
Sextus Diodor auch sogleich an, indem er, kaum daß er das Argument
zu Ende referiert hat, geradezu empört anfügt: «In der Absicht, der ihm
eigenen Lehre zu Hilfe zu kommen (ἐπαρήγειν θελήσας τῷ οἰκείῳ δόγ-
ματι, hat dieser Mann also etwas Widersinniges (ἄτοπόν τι) zugelassen.
Denn wie sollte es nicht widersinnig sein zu behaupten, daß sich, wiewohl
sich nichts bewegt, dennoch etwas bewegt hat?» (86). Sorabji hat behaup-
tet, mit der Diodor eigenen Lehre, von der Sextus hier spricht, seien
«Diodorus’ ideas on atomic bodies, spaces and movements» gemeint38.
Das halte ich für eine Fehlinterpretation. Was Sextus meint, ist meines
Erachtens die Lehre, daß sich nichts bewegt. Dieser durch einen Beweis
gesicherten Lehre habe Diodor, so Sextus, dadurch zu Hilfe kommen,
d. h. sie dadurch gegen zu erwartende Kritik absichern und gleichsam
wasserdicht machen wollen, daß er ihr den zweiten Teil (κεκίνηται δέ)
hinzugefügt habe, der dem Rechnung trägt, was einem der Verstand sagt
(κατὰ λόγον) — nach Auffassung des Sextus eine unsinnige Rettungs-
aktion. Um ebendiese von Sextus hier als “widersinnig” qualifizierte
Behauptung, daß “wiewohl sich nichts bewegt, sich dennoch etwas
bewegt hat”, dreht sich nun aber, wie wir gesehen haben, das 1. Gegen-
argument des Mittelteils mit allem, was dazu gehört (Diodors Versuch,
seine Behauptung zu retten, sowie die Zurückweisung dieses Versuchs
durch Sextus), einschließlich der Schlußbemerkung, die die Qualifizie-
rung dieser Behauptung als “widersinnig” wiederholt und bekräftigt. Be-
denkt man dies und nimmt noch hinzu, was über die Sonderstellung des
1. Gegenargumentes samt Entgegnungen und Repliken innerhalb des
Mittelteiles gesagt wurde, dann scheint die Folgerung unausweichlich,
daß Sextus in den §§ 91-92 und 97-102 dieselbe Vorlage benutzt hat
wie in den §§ 85-86. Was weiter oben über die zwei Vorlagen gesagt
wurde, denen Sextus in seinem Bericht folgt, muß also in diesem Sinne
modifiziert werden39.
— 111 —
Was für eine Vorlage war dies? Sieht man sich das 1. Gegenargu-
ment mit dem, was dazugehört, an, dann liegt es gewiß näher, an eine
Schrift mit logischer bzw. dialektischer Thematik zu denken als an eine
solche mit physikalischer. Nun kann kein Zweifel bestehen, daß Diodors
Argument gegen die Bewegung in Schriften dieser Art nicht nur vorkam,
sondern einen festen Platz hatte. Es bezeugt dies Sextus selbst, der dieses
Argument in den Pyrrhonischen Hypotyposen in dem Kapitel, in dem er
die Trugschlüsse behandelt, in einem Katalog berühmt-berüchtigter Trug-
schlüsse aufführt. Daß der Name Diodors in diesem Fall nicht ausdrück-
lich genannt ist, hat nichts zu sagen, da in diesem Katalog auch sonst
keine Namen genannt werden. Das Argument lautet dort so: «Wenn sich
etwas bewegt, bewegt es sich entweder an dem Ort, an dem es ist, oder
an dem, an dem es nicht ist. Es bewegt sich aber weder an dem Ort,
an dem es ist, denn dort ruht es, noch an dem, an dem es nicht ist,
denn wie sollte etwas an jenem Ort tätig sein, an dem es ganz und gar
nicht ist. Also bewegt es sich nicht» (PH ii 242). Ein Trugschluß ist dies
nur unter der stillschweigend zugestandenen Voraussetzung, daß die Kon-
klusion durch den Augenschein als offenkundig falsch erwiesen wird.
Deshalb fügt Sextus denn auch alsbald hinzu, daß alles derartige “Ge-
schwätz” (ὕθλοι) sich auf sehr einfache Weise zuschanden machen lasse,
etwa indem man, wie dies ein Philosoph getan habe, kurzerhand aufstehe
und herumspaziere (PH ii 244)40. Ich möchte behaupten, daß der Re-
greß auf die jedermann durch die tagtägliche Erfahrung vertraute Tatsa-
che, daß es Bewegung gibt, und somit Diodors Argument gegen die Bewe-
gung, ob mit ausdrücklich hinzugefügtem oder nur hinzu gedachtem
κεκίνηται δέ, hier seinen ursprünglichen Sitz hat, daß das, worum es Dio-
dor ging, also das Paradox war und daß es sich daher, wo Diodors Argu-
ment als physikalisches benutzt wird, um einen Gebrauch für Zwecke
handelt, für die dieses Argument ursprünglich nicht gedacht war. Weil
Sextus dies nicht klar war und er Diodors Argument bei der Erörterung
der Frage, ob es Bewegung gebe, deshalb so behandelt, als sei es ein genuin
— 112 —
physikalisches Argument, erscheint ihm der Zusatz κεκίνηται δέ so wider-
sinnig und muß ihm so widersinnig erscheinen: Ohne sich dessen bewußt
zu sein, versteht er das Argument genau so, wie Diodor es gemeint hatte,
als Paradox.
Und die Lehre von den ἀμερῆ? Wenn, was im Vorangehenden gesagt
wurde, richtig ist, dann bestätigt sich Eduard Zellers Annahme41, daß
es sich bei dieser Lehre nicht um ein physikalisches Dogma im Sinne
einer Aussage über die physikalische Struktur der Dinge handelt, sondern
um eine Hypothese, die Diodor im Rahmen seiner Beweise (ich gebrauche
hier aus Gründen, die gleich deutlich werden, absichtlich den Plural!)
gegen die Bewegung einführte. Sieht man sich den Bericht des Sextus,
von dieser Voraussetzung ausgehend, noch einmal als ganzen an, dann
wird man auf eine weitere, bisher noch nicht registrierte Unstimmigkeit
aufmerksam. Sextus referiert Diodors im Vorangehenden besprochenen
Beweis gegen die Bewegung in zwei Varianten, von denen die anspruchs-
vollere erste die ἀμερῆ einbezieht, die einfachere und sozusagen populä-
rere dagegen nicht. In Mittelteil diskutiert Sextus vier Gegenargumente,
die sich gegen die einfachere Variante richten, und eines, das sich gegen
die anspruchvollere zu richten scheint, bei genauerem Hinsehen aber gar
nicht wirklich dagegen richtet, sondern gegen das Paradox, daß sich zwar
nichts bewegt, wohl aber etwas bewegt hat, ein Paradox, das auf die
Annahme von ἀμερῆ gar nicht angewiesen ist, sondern ebenso gut mit
der einfacheren Form des Argumentes auskommt. Warum, so ist zu fra-
gen, bringt Sextus die ἀμερῆ überhaupt ins Spiel?
Die Antwort ergibt sich aus dem, was im Vorangehenden über die
Vorlagen gesagt wurde, denen Sextus folgt. Es hatte sich gezeigt, daß
das “gewichtige” Argument am Anfang (85-86) und die “nicht so gewich-
tigen” Argumente gegen Ende des Berichtes (112-117) offenkundig der-
selben Vorlage entstammen und daß sich diese Vorlage von der, die Sex-
tus im Mittelteil benutzt hat — bzw., wie wir inzwischen sagen müssen,
für die Mehrzahl der Gegenargumente des Mittelteiles benutzt hat (vgl.
S. 116 mit Anm. 39) —, vor allem dadurch unterschied, daß sie Diodors
Beweise unter Einbeziehung der Hypothese von den ἀμερῆ referierte.
— 113 —
Nun mag das bisher behandelte Argument auch ohne die ἀμερῆ auskom-
men — wie dies überall dort, wo es in der Form des “allseits bekannten”
Argumentes erscheint, ja auch tatsächlich der Fall ist —, das zweite der
beiden “nicht so gewichtigen” Argumente kann dies nicht, es ist auf die
ἀμερῆ angewiesen. Wenn eine Abhandlung über oder eine Auseinander-
setzung mit Diodors Beweisen gegen die Bewegung auch dieses Argument
einbeziehen wollte, wie dies bei derjenigen Vorlage der Fall war, die die-
sem Teil des sextianischen Berichtes zugrunde liegt, dann konnte sie also
auf die ἀμερῆ nicht verzichten. Im übrigen ist, was diese Vorlage betrifft,
in Rechnung zu stellen, daß sie möglicherweise noch weitere, uns nicht
überlieferte Argumente Diodors gegen die Bewegung referierte, die
gleichfalls auf die Hypothese von den ἀμερῆ angewiesen waren42.
Um das gerade Gesagte deutlich zu machen, muß ich dieses zweite
“nicht so gewichtige” Argument wenigstens in seinen Grundzügen refe-
rieren43. Ausgangspunkt ist die Annahme, daß es zwei Arten von Bewe-
gung gebe, die “überwiegende” (κίνησις κατ’ ἐπικράτειαν) und die “to-
tale” (κίνησις κατ’ εἰλικρίνειαν), und daß von ihnen die “überwiegende”
stets der “totalen” vorausgehe. Von dieser Annahme ausgehend wird
dann so argumentiert: Von einem größeren Körper wird zunächst ein aus
drei ἀμερῆ bestehendes Molekül betrachtet, bei dem sich zwei ἀμερῆ be-
wegen und eines unbewegt ist. Da sich in ihm der überwiegende Teil
der ἀμερῆ bewegt, muß auch das Molekül als Ganzes als bewegt angese-
hen werden. Denkt man sich nun ein weiteres ἀμερές hinzu, und zwar
ein unbewegtes, so muß das neu entstandene, aus vier ἀμερῆ bestehende
Molekül insgesamt gleichfalls als bewegt gedacht werden, da sich die
Gesamtbewegung des anfänglichen, aus drei ἀμερῆ bestehenden Mole-
küls, die sich auf die “überwiegende” Bewegung der beiden in ihm
enthaltenen bewegten ἀμερῆ gründete, gegenüber dem neu hinzugekom-
— 114 —
menen ἀμερές durchsetzt. Dieser Prozeß läßt sich ad infinitum weiter-
denken. Macht man bei einem aus 10 000 ἀμερῆ bestehenden Körper
halt, so kommt man nicht um die Anerkennung der Feststellung herum,
daß sich in ihm die Bewegung der zwei ἀμερῆ gegenüber der Unbeweg-
theit von 9, 998 durchgesetzt hat, was offenkundig widersinnig ist. Daraus
ergibt sich, daß die Annahme einer “überwiegenden” Bewegung unzu-
treffend gewesen sein muß. Da die “überwiegende” Bewegung aber Vor-
aussetzung für die “totale” war, kann es auch diese nicht geben. Folglich
gibt es überhaupt keine Bewegung (112-117).
Ich will mich bei diesem Argument, das Sextus in einem kurzen
Kommentar (118) als offenkundig sophistisch zurückweist, nicht weiter
aufhalten. Nur eines möchte ich anmerken: Das Argument funktioniert
nach Art der Sorites-Argumente44. Der Ort, an dem diese Argumente
diskutiert wurden, war nicht die physikalische, sondern die dialektische
Literatur, speziell die Trugschluß-Literatur45. Es bestätigt sich mithin,
daß, wenn nicht die unmittelbare Vorlage, so doch auf jeden Fall die
ursprüngliche Quelle der die ἀμερῆ einbeziehenden Argumente im Be-
richt des Sextus eine Schrift dieser Art gewesen sein muß.
Und nun zum Schluß des Berichtes, an dem Sextus ein weiteres Ar-
gument mitteilt, das so lautet: «Wenn sich etwas bewegt, bewegt es sich
jetzt; wenn es sich jetzt bewegt, bewegt es sich in der gegenwärtigen
Zeit (ἐν τῷ ἐνεστῶτι χρόνῳ); wenn es sich in der gegenwärtigen Zeit
bewegt, bewegt es sich folglich in einer teillosen Zeit. Wenn nämlich
die gegenwärtige Zeit aufgeteilt wird, dann wird sie zweifellos in die ver-
gangene und die künftige aufgeteilt werden und wird so nicht mehr die
gegenwärtige sein. Wenn sich aber etwas in einer teillosen Zeit bewegt,
dann durchwandert es teillose Orte. Wenn es aber teillose Orte durch-
wandert, bewegt es sich nicht. Wenn es nämlich an dem ersten teillosen
Ort ist, bewegt es sich nicht, denn es ist noch an dem ersten teillosen
Ort. Wenn es aber an dem zweiten teillosen Ort ist, bewegt es sich
wiederum nicht, sondern hat sich bewegt. Daher bewegt sich nichts»
(119-120).
— 115 —
Auf den ersten Blick wirkt dieses Argument, dessen Bedeutung und
ideengeschichtliche Stellung N. Denyer und R. Sorabji vor rund zehn
Jahren etwa gleichzeitig aufgezeigt haben46, wie eine vervollkommnete
Form des am Anfang des Berichtes (85-86) mitgeteilten diodoreischen
Argumentes, vervollkommnet durch die zusätzliche Annahme einer teillo-
sen Zeit. Doch ist damit nicht das Wesentliche dieses Argumentes be-
zeichnet. Worin dies besteht, wird schlagartig deutlich, wenn man sich
die völlig unterschiedliche Funktion klarmacht, die der Bestandteil
κεκίνηται δέ bzw. ἀλλὰ κεκίνηται (86 bzw. 120) in den beiden Argumen-
ten hat. In Diodors Argument ist κεκίνηται δέ um des damit bewirkten
Paradoxes willen hinzugefügt, in dem Argument, um das es hier jetzt
geht, ist ἀλλὰ κεκίνηται dagegen — und hier stütze ich mich auf Denyers
und Sorabjis Interpretationen dieses Argumentes — integraler Bestandteil
eines Beweises, der aufzeigt, wie Bewegung gedacht werden kann und
muß, nämlich als ein Prozeß, der sich in stakkatoartigen Rucken voll-
zieht. Im Unterschied zu den bisher behandelten Argumenten ist dieses
Argument also ein genuin physikalisches Argument, das einzige in dem
ganzen Bericht, wie ich glaube. Denyer und Sorabji haben gemeint bewei-
sen zu können, daß dieses Argument das eigentliche Argument Diodors
sei und daß wir in den beiden zu Beginn des Berichtes referierten Argu-
menten (85-86 und 87) unvollständige Fassungen davon zu sehen hätten.
Dies scheint mir schon allein deshalb völlig ausgeschlossen zu sein, weil
es sich bei diesem Argument nicht um ein Argument gegen, sondern für
die Bewegung handelt. Trifft, was im Vorangehenden ausgeführt wurde,
zu, dann handelt es sich vielmehr um ein Argument, das zwar, was die
Form anbetriff, demjenigen Diodors sehr ähnlich ist, aber ein ganz ande-
res Ziel verfolgt.
Daß es sich um ein anderes Argument eines anderen Autors handelt,
war jedenfalls auch die Meinung des Sextus. Das ergibt sich nicht nur
aus dem Duktus des Gesamtberichtes, sondern auch daraus, daß Sextus,
wo er im Verlauf des Buches noch einmal kurz auf Diodors Argument
zu sprechen kommt, ausdrücklich davon spricht, daß es auf der Annahme
teilloser Orte und Körper basiere, von einer teillosen Zeit aber nichts
— 116 —
verlauten läßt (143). Wie er sich das Verhältnis dieses Argumentes zu
demjenigen Diodors vorstellt, bleibt unklar, da er dieses Argument als
einziges in dem gesamten Bericht ohne jeden Kommentar referiert. Ich
vermute, daß er es einer von den beiden anderen verschiedenen dritten
Vorlage entnommen hat, und zwar einer physikalisch orientierten, und
daß er es wegen seiner offenkundigen formalen Verwandtschaft mit dem-
jenigen Diodors am Ende seines Berichtes als eine Art Appendix angefügt
hat, ohne viel darüber nachzudenken, in welchem Verhältnis die beiden
Argumente zueinander stehen.
Der Klarheit halber muß ich hier folgendes anmerken: Wenn im
Vorangehenden von Vorlagen die Rede war, die Sextus benutzt habe,
dann war dies immer cum grano salis gemeint und zu verstehen. Solange
wir über die Einzelstationen, über die der von Sextus referierte Stoff
zu ihm gelangte, und über den Kondensations- und Kontaminationspro-
zeß, dem es dabei unterworfen war, so wenig wissen wie bisher und so-
lange uns auch die Arbeitsweise des Sextus noch weitgehend unbekannt
ist, unterliegen alle Aussagen über die von Sextus benutzten Vorlagen
dem gerade formulierten Vorbehalt. Immerhin wird, was Sextus berich-
tet, hin und wieder transparent und bietet die Möglichkeit, nicht nur
miteinander verflochtene Traditionen zu entwirren, sondern sogar einen
vergleichsweise deutlichen Eindruck von der Phase zu gewinnen, die am
Anfang des Uberlieferungsprozesses steht und uns natürlich in ganz be-
sonderem Maße interessiert. Der Bericht, den Sextus von Diodors Bewei-
sen gegen die Bewegung gibt, bietet dafür ein gutes Beispiel, da Sextus
in ihm zusammen mit dem 1. Gegenargument zugleich zwei Entgegnun-
gen Diodors mitteilt (97-98 und 101) und uns so für einen Augenblick
zu Zeugen eines dialektischen Disputes zur Zeit Diodors werden läßt.
In diesen Disput ist gewiß auch das an einer anderen Stelle desselben
Buches von Sextus referierte Argument einzuordnen, welches das sich
um seine eigene Achse drehende ἀμερὲς καὶ ἐλάχιστον σῶμα als Beispiel
daführ anfürt, daß durchaus Fälle denkbar sind, in denen sich etwas als
Ganzes an dem Ort bewegt, an dem es sich befindet (Μ x 58; vgl. S. 104-5).
Besonders auffällig ist im übrigen, daß als Repräsentant der Ansicht, daß
es keine Bewegung gibt, nicht Zenon von Elea gewählt ist — sein Name
taucht in dem ganzen Buch nicht ein einziges Mal auf47 —, sondern
— 117 —
Diodor; es ist dies umso auffälliger, als Diodor, wie Sextus zuvor aus-
drücklich registriert hatte (M x 48), alles andere als ein typischer Re-
präsentant der Ansicht, daß sich nichts bewegt, ist, vielmehr ein Son-
derfall, insofern er sich nämlich nicht mit der Behauptung, daß sich
nichts bewege, beschied, sondern hinzufügte, daß sich wohl aber etwas
bewegt habe. Daß Sextus, wo er die Position derer diskutiert, die
behaupten, daß sich nichts bewege, dennoch gerade ihn als Beispiel
wählt, läßt sich schlechterdings nicht anders erklären als so, daß wir
in dem ganzen Kapitel, in dem Sextus die Frage erörtert, ob es Be-
wegung gibt (M x 37-168), nicht so sehr einen historischen Bericht
vor uns haben als vielmehr einen Reflex des Disputes, der im III.
Jhdt. v. Chr. über die Frage ausgetragen wurde, wie Bewegung zu
erklären sei. In diesem Disput hatte Diodor als Zeitgenosse der Dispu-
tanten den an sich geeigneteren älteren Zenon offenbar verdrängt.
Daß Sextus auch sonst nicht selten Quellen benutzt hat, die in
ziemlich direkter Linie auf die philosophischen Diskussionen des III.
Jhdts. v. Chr. zurückgehen müssen, zeigt für einen wesentlich größeren
Bereich, als es der hier behandelte ist, Theodor Ebert in seiner soeben
veröffentlichten Monographie Dialektiker und frühe Stoiker bei Sextus
Empiricus48. Aufgrund einer eindringenden Textanalyse ist es Ebert
gelungen, verschiedene den Bereich der Logik betreffende Theoreme
im Werk des Sextus, die bisher in einen Topf geworfen und pauschal
den Stoikern zugeschrieben wurden, als Einzelbeiträge zur. philosophi-
schen Diskussion im III. Jhdt. v. Chr. zu erweisen und mit mehr oder
minder großer Wahrscheinlichkeit bestimmten vorchrysippeischen Philo-
sophen bzw. Philosophengruppen zuzuordnen. Dadurch wird es mög-
lich, von der Entwicklung der Logik in dieser Zeit ein viel differen-
zierteres und plastischeres Bild zu zeichnen, als dies bis jetzt der Fall
war. Ist man erst einmal darauf aufmerksam geworden, daß Sextus
derartige Quellen in größerem Umfang benutzt hat, dann ist es nicht
mehr weiter verwunderlich, daß er in immerhin drei Fällen auch Leh-
ren aus dem Kreis der sog. kleinen Sokratiker und ihrer Nachfolger
— 118 —
berücksichtigt und uns damit überliefert hat, von denen sich in der son-
stigen auf uns gekommenen Literatur nur geringe bis gar keine Spuren
erhalten haben. Es ist zu vermuten, daß eine sorgfältige und geduldige
Analyse der Werke des Sextus noch manche neue Einsicht über die
philosophischen Diskussionen dieser Epoche zu Tage fördern wird.
Zeugnisse werden im folgenden nach der Sammlung Socratis et Socraticorum Reliquiae,
hrsg. von G. Giannantoni (“Elenchos” xviii) Napoli 1991, zitiert (abgekürzt
S.S.R.).
6, 68, 276. B. Einarson-Ph. H. de Lacy, Plutarch’s Moralia, xiv, Cambridge-London
1967, S. 255 ad loc.
«Classical Quarterly», xxxviii (1988) S. 150-71, hier 156 zu Kolotes und 156-60 zu
Arkesilaos.
S.S.R. i d 1, 21-23; g 16, 3-4; Od. 8 392: vgl. S.S.R. i c 464, 4.11; d 1, 39; iv a 166,
18, s. auch S.S.R. i c 466, 7; iv a 166, 5; v b 368, 6; Dio Chrys. 40, 5; Phil. de
somn. 157-58.
Providence of the Gods, Athen 1976, S. 51, 55-7. A. A. Long, Socrates cit., S. 162-3.
die Kyrenaiker («Akad. der Wiss. u. der Lit. Mainz, Abh. der geistes- u. sozialwiss.
Klasse», i (1988), S. 8-20.
der Kyrenaiker und der pyrrhonischen Skeptiker auf dem Gebiet der Ethik funda-
mental. An der gleichen Stelle, an der er die Verwandtschaft der Erkenntnislehren
der beiden Richtungen konstatiert, faßt Sextus den Unterschied auf dem Gebiet der
Ethik in folgende Formel: «Jene (scil. die kyrenaische Schule) behauptet, die Lust
und die sanfte Bewegung des Fleisches seien das Ziel (τέλος), wir (Skeptiker) dagegen
sagen, es sei das Freisein von Beunruhigung (ἀταραξία), dem das, was sie als Ziel
ansetzen, entgegengesetzt ist; denn derjenige, der versichert, das Ziel sei die Lust,
erleidet Beunruhigungen (ταραχαί), sowohl wenn die Lust zugegen ist als auch wenn
sie nicht zugegen ist» (PH i 215).
xxxiv (1989) S. 293-310, zu zeigen versucht habe, besteht kein Grund, zwischen
Megarikern und Dialektikern zu unterscheiden.
Göttingen», Phil.-hist. Klasse, 3. Folge Nr. 88, Göttingen 1974, S. 82-3.
der Stoiker, Stuttgart-Bad Cannstatt 1987-88, Nr. 858.
trième formule d’implication dans Sextus Empiricus, ‘Hyp. Pyrrh.’, II, 112, «Revue de
philosophie ancienne», i (1984) S. 73-120.
of the Stoic Theory of Signs in Sextus Empiricus, «Oxford Studies in Ancient Philo-
sophy», v (1987), S. 83-126, hier 83-96, und Id., Dialektiker und frühe Stoiker bei
Sextus Empiricus (“Hypomnemata” xcv) Göttingen 1991, S. 29-44 hat die beiden
Texte eingehend analysiert.
che, daß es vier unterschiedliche Bestimmungen der richtigen Konditionalaussage gab
(ibid. 265), verzichtet also darauf, dies anhand von Beispielen im einzelnen auszu-
führen.
lektiker und frühe Stoiker, cit., S. 83-116.
J. Mansfeld, Diogenes Laertius on Stoic Philosophy, in Diogene Laerzio storico del
pensiero antico, «Elenchos», vii (1986) S. 295-382, hier 325-6) war Philon aller Wahr-
scheinlichkeit nach der Jüngere.
(Luc. 143 = S.S.R. ii f 13), die nicht mehr besagt, als daß Diodor, Philon und Chry-
sipp bezüglich der Frage der Richtigkeit der Konditionalaussage unterschiedlicher
Meinung waren.
Time and Modality in Diodorus Cronus, «Theoria», xlvii (1981) S. 31-53, bes. 39-41.
G. Giannantoni, II κυριεύων λόγος di Diodoro Crono, «Elenchos», ii (1981) S. 239-
72, bes. 248-51 und 264-8. R. Muller, Les Mégariques, Paris 1985, S. 144. G. Gian-
nantoni, Die Philosophenschule der Megariker und Aristoteles (erscheint demnächst in
den Akten des Symposiums zur “Logik der Stoiker und ihrer Vorläufer”, das vom
1.-7.9.1991 in Bamberg stattfand).
D. Sedley, Diodorus Cronus and Hellenistic Philosophy, «Proceedings of the Cam-
bridge Philological Society», cciii (1977) S. 74-120, hier 108 Anm. 35.
schen Möglichkeitsbegriff erläutert (τὸ ἐμέ ἐν Κορίνθῳ γενέσθαι, S.S.R. ii f 27, 4),
nicht von ihm, sondern schon von Diodor stammen, dann wäre in Erwägung zu zie-
hen, ob Kallimachos seine Raben nebenbei auch noch auf dieses Beispiel bzw. ein
Beispiel wie dieses anspielen läßt.
347; ἀμερῆ PH iii 32; M ix 363; vgl. PH ii 111. Einer etwas ausführlicheren Behänd-
lung bedarf die Stelle M viii 333. Sie ist Teil eines Kontextes (ibid. 329-334), in
dem Sextus konstatiert, daß jeder Beweis, da in ihn als Prämissen Meinungen (δόγ-
ματα) eingingen, die umstritten seien, mit Notwendigkeit auch seinerseits umstritten
sei. Zur Illustration zieht er das folgende Argument heran, mit dem Epikur die
Existenz des Leeren beweisen zu können geglaubt habe (= fr. 272 Usener): «Wenn
es Bewegung gibt, gibt es Leeres. Nun gibt es aber Bewegung. Also gibt es Leeres».
Dieser Beweis sei zwar, so Sextus weiter, formal in Ordnung, dennoch erachteten ihn
viele für ungültig, weil sie die eine oder die andere der beiden Prämissen für falsch
hielten. Setze man z. B. die phiionische Bestimmung der richtigen Konditionalaussage
als Kriterium an und betrachte den Beweis dann im Lichte der Lehren der Peripate-
tiker einerseits und derjenigen Diodors andererseits, dann zeige sich, daß er in beiden
Fällen ungültig sei. Im ersten Fall sei nämlich die erste Prämisse falsch, da in ihr
zwar das Praecedens (Es gibt Bewegung) wahr, das Succedens (Es gibt Leeres) aber
falsch sei, im zweiten dagegen sei zwar die erste Prämisse wahr, da sowohl das Praece-
dens als auch das Succedens falsch seien, dafür aber sei die zweite Prämisse (Es gibt
Bewegung) falsch (332-333). Hier wird Diodor also zusätzlich zu der Ansicht, daß
es keine Bewegung gibt, auch noch die zugeschrieben, daß es kein Leeres gibt. Die
Frage ist, ob diese Zuschreibung als authentisch gelten kann oder ob Sextus ein Ver-
sehen unterlaufen ist. Daß Diodor eine solche Lehre sonst nirgends zugeschrieben
wird, besagt angesichts der notorischen Lückenhaftigkeit der Überlieferung wenig.
Schwerer wiegt, daß sie nicht mit Diodors eindeutig bezeugter Lehre von den ἀμερῆ
zusammenpaßt, da diese das Vorhandensein von Leerem vorauszusetzen scheint.
Möglicherweise handelt es sich um eine irrtümliche Übertragung von Zenon (s. D.-K.
29 a 1 § 29) oder Melissos (s. D.-K. 30 a 8; b 7 § 7) auf Diodor. Ein Versuch, beides
bei Diodor miteinander zu vereinbaren, findet sich bei N. Denyer, The Atomism
of Diodorus Cronus, «Prudentia», xiii (1981) S. 33-45, hier 40-1.
ment zwar insofern zu akzeptieren sei, als der Begriff “Bewegung” tatsächlich ein
relativer sei, daß diese Einsicht jedoch zur Lösung der physikalischen Aporie nichts
beitrage.
und M x 15; vgl. dazu M. Burnyeat, The Sceptic in His Place and Time, in: R. Rorty-
J. B. Schneewind-Q. Skinner (eds), Philosophy in History, Cambridge 1984, S. 225-
54, hier 232-8.
unten S. 116 noch etwas modifiziert werden.
sen unvollständig ist. Es handelt sich also um den von Sextus PH ii 146, 150,
M viii 429, 434 besprochenen Fall der Nichtschlüssigkeit “durch Auslassung” (παρά
bzw. κατὰ ἔλλειψιν).
Stoiker cit., S. 209-11 vor.
Muller, Les Mégariques, cit., S. 140-1, zu den beiden ersten K. Hülser, Die Frag-
mente zur Dialektik der Stoiker, cit., S. 1000-5 (Erläuterungen zu Nr. 824 a) und
jetzt vor allem M. Frede, The Stoic Theory of the Tenses of the Verb, in den Akten
des Symposiums zur “Logik der Stoiker und ihrer Vorläufer” (s. supra Anm. 21).
doro Crono e il moto degli atomi, «Siculorum Gymnasium», xxxiii (1980) S. 125-33.
N. Denyer, The Atomism cit. R. Sorabji, Time, Creation and the Continuum, London-
Ithaca, N.Y., 1983, S. 17-21, 345-8, 369-71. Beiläufig sei darauf hingewiesen, daß
aus der Bemerkung, die Alexander von Aphrodisias in seinem Kommentar zu De
sensu p. 122, 21-23 (= S.S.R. ii f f 9, 1-4) über Diodor macht, keineswegs, wie Sedley
(Diodorus Cronus cit., S. 87), Denyer (The Atomism cit., S. 36-7) und Sorabji (Time
cit., S. 346-7) meinen, geschlossen werden kann, Diodor habe mit kleinsten wahr-
nehmbaren bzw. nichtwahrnehmbaren Größen argumentiert; ὡς οἴεται ὁ Διόδωρος
bezieht sich nur auf den vorausgehenden Hauptsatz (οὐδ’ ἄν...).
D. N. Sedley, The Hellenistic Philosophers, Cambridge 1987, n, S. 48 (zu 11i, 8).
genargument samt Repliken (96. 110-111) entnommen ist. Daß es wie das 1. in den
Pyrrhonischen Hypotyposen kein Pendant hat, könnte ebenso wie das, was im folgen-
den über den Charakter der Vorlage A gesagt ist, dafür sprechen, daß es eben dieser
Vorlage entnommen ist.
Anekdote PH ii 245.
folgend P. Natorp, s.v. Diodoros (n. 42), in RE in 1 (1899) col. 706.
sich dabei um nichts anderes als eine Kurzform des “allseits bekannten” Argumentes:
«Was sich bewegt, ist an einem Ort. Was aber an einem Ort ist, bewegt sich nicht
(seil, sondern ruht). Was sich bewegt, bewegt sich also nicht» (112). Was Sextus
damit bezweckte, daß er dieses Argument hier einfügte, ist unklar.
Bewegung an, die mit der unendlichen Teilbarkeit des Raumes operieren, doch ist
er sich dieser Tatsachen, wie es scheint, nicht bewußt.
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